Montag, 23. April 2012

Vom opponierbaren Daumen zur Sprache und zurück

Daumenfreuden wie bei Muttern

Der Garten Eden könnte nicht schöner sein
Quelle: kate-bell.blogspot.com
Immer wieder demütigt mich meine Mama, indem sie mir mit hoffnungsvoll leuchtenden Augen einen Topf mit einer hochgezüchteten Crassulaceae, Urticaceae oder sonst einem Pisskraut entgegenstreckt. "Das haben sie mir im Garten-Center empfohlen, das ist die neuste Entwicklung, extra für Leute wie Dich ... eben". Als ob wir nicht alle, liebe Leserin, lieber Leser, als ob wir nicht alle wüssten, welche Unsäglichkeiten ein mütterliches Lächeln wohl verbergen mögen, wenn es belgeitet wird von Worten in der Art von "so wie Du, eben". Es geht um die Unveränderlichkeit der kindlichen Identität des Zöglings. In diesem Fall spricht sie meine Eigenschaft als Todesengel an. Zugegeben, in diesem Fall hat Mama leider Recht. Wieder einmal. Ja, ich bin der Todesengel der Flora. Den Kräutern, mit denen die Rächerin des Grünzeugs immer wieder meine dunkle Seite zu bestägen versucht, ist eines gemein: Sie sind der, ebenso offensichtliche wie klägliche, Versuch eines evolutionären Auswegs aus dem eisernen Griff meiner Klauen. Einzig auf das Überleben, das schiere Überleben, getrimmt. Blütenlos. Amorph. Ganzjährig im Überdauerungszustand. Sie sind erwiesenermassen überlebensfähig während vieler Jahre ohne Wasser, Dünger oder Licht, sowohl auf dem Grund einer Teergrube, als auch in einer sonnennahen Umlaufbahn. Somit erinnern sie optisch auch eher an den ausserirdischen Bewuchs auf einem Jupitermond als an Blümchen.

Geh ins das Licht, Liebes, geh in das Licht! 

Weil man Mama ja nicht die Freude nehmen will, lässt man sich eben halbherzig auf einen weiteren Versuch ein. Eine Woche später sind die Botaniker, Agronomen, Hortikulturisten und Mama in ihrem Gottesglauben bestätigt: Kein menschengeschaffenes Geschöpf kann dem uralten Schisma zwischen Gut und Böse trotzen. Der Gevatter holt sich was und wie es ihm gefällt.
I bins, der Gevatter.
Quelle: Kremers-Schatzkiste
auf amazon oder e-bay
Dabei habe ich es doch wirklich versucht. Ich habe es wenig gegossen, nicht zu viel. Das Düngerstäbchen, von der bündnerischen Baumarkt-Lehrtochter mit den gipsy-dunklen Augen empfohlen, liebevoll eingesteckt und eingebettet, hat mittlerweile eine gesündere Farbe als das Pflänzlein. Im indirekt-sonnigen Halbschatten senesziert das Gewächs bräunlich vor sich hin. Ich habe sogar täglich mit ihm gesprochen. Ja, lieber Leser, Du hast recht gehört, so weit ist meine Verzweiflung, und ich schäme mich nicht, es auszusprechen. Ich habe mit meiner Pflanze gesprochen. Ohne Scham und ohne Reue sage ich das. Und es hat mir gut getan. Da gibt es nichts zu schmunzeln, da gibt's keine Augen zu verdrehen. Warum sollte ich nicht mit einer Pflanze sprechen? Schliesslich habe ich auch keine Hemmungen, den Computer im Büro anzukeifen, wenn er sich meiner Anweisungen widersetzt. Kein Mensch wird es je ergründen können, aber ich schwöre es, bei allem, was mir heilig ist, es mag nicht viel sein, aber dabei schwöre ich, so manches Laborgerät hat sich meinen Drohungen gebeugt oder sich meiner Beknieungen erbarmt, und seine normale Tätigkeit wieder aufgenommen. Mit Dingen reden lohnt sich gar nicht so selten. Sagt man nicht sogar, mit sich selbst zu reden sei gesund? Hindert es mich denn an einem Zustand des Wohlbefindens, in dem ich meine Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv und fruchtbar arbeiten kann und imstande bin, etwas zu seiner Gemeinschaft beizutragen? Also hält mich zumindest die WHO für gesund, solange ich meine Dialoge mit Einrichtungs- und Dekorationsobjekten, Arbeitsmaterial, Gerätschaften, Gemüse und mir selbst auf ein so unauffälliges Mass beschränke, dass es meine gesellschaftliche Funktion nicht beeinträchtigt. Du erkennst, liebe Leserin, dass ich nicht die geringsten Hemmungen habe, mit Unbeseeltem zu reden.

Wohlstand durch wundervollen Sieg mit einem Lächeln


Es waren nicht Hände, die Siri riefen. Es war Begierde!
Quelle: SaGa Design auf
http://www.shapeways.com/ 
So ein Freigeist mag ich sein, doch es gibt Konversations-Bewegungen in unserer Zeit, die die Grenzen meiner Toleranz erreicht, überschritten und weit hinter sich gelassen haben: Ich weigere mich strikt, auch entgegen dem Rat Kai Pflaumes, mich von einer Zahnbürste herumkommandieren zu lassen. Da hört die Liebe auf, auch wenn nur sie zählt. Es liegt nicht am Markenbotschafter, es liegt nicht am 50er-Jahre-Charme der Holzhammerwerbung, es liegt nicht an einer Fortschrittsverweigerung und nicht an meiner evolutionären Prägung, die es mir verbieten könnte, Befehle von etwas anzunehmen, das ich im Mund habe. Es geht ums Prinzip. Heute, in irgendeinem Werbeblock, brabbelten fröhliche, gutaussehende Menschen ihre persönlichen Bedürfnisse vor sich hin und hielten sich dabei ein handtaschengrosses Gerät vors Gesicht, das offenbar ein Telefon sein sollte. Das Telefon nannte sich Siri und reagierte auf die Ratlosigkeit seines Besitzers mit jovialen Sprüchen, in die es für den Patienten nutzbare Informationene einzubetten versuchte. Wenn Du, zu Dir selbst sprechend, vor Dich hinmurmelst "Aua, ich habe mir den Fingernagel abgebrochen", fällt dir Dein Telefon ins Wort: "Heya, ich habe einen coolen Laden für Transplantationschirurgie geortet." Und lächelt dabei in HD. Die peinlich gezwungener Natürlichkeit der treudoofen Begleiterin mag bei der Antwort auf die Frage nach einem Regenschirm nicht stören, bestenfalls ab dem zehnten mal nerven. In der gleichen Ausdrucksweise vorgetragene Shoppingtipps wirken jedoch verstörend, wenn sie damit Dein verzweifeltes Flehen um einen Fallschirm quittiert, selbst wenn die GPS-Daten eine besondere Dringlichkeit der Lage nahelegen.

Liebe Dein nächstes wie Deinen nächsten!

Meine Abneigung gegen die Sprachsteuerung liegt an der mangelnden Künstlichkeit des Künstlichen. Die Industrie hat neue Möglichkeiten zur Verfügung gestellt bekommen, uns dazu zu bewegen, unsere persönliche Beziehung zu unseren Besitztümern zu vertiefen. Es wäre eine wirtschaftliche Todsünde, diese Möglichkeiten nicht zu auszureizen. Seht die andere Seite: Die Liebe zu Besitztümern zu vertiefen gilt in einigen Kulturen als Fetisch, in anderen als Ursache allen Leidens - in der unserem als Abwendung vom ewigen Seelenheil. Wenn Du mich mal auf der Strasse dabei ertappst, wie ich mich mit mir selbst unterhalte, mach Dir keine Sorgen und lass mich in Ruhe, das geht vorbei. Solltest Du jemals feststellen, dass ich zu meiner Zahnbürste eine persönliche Beziehung aufgebaut hätte - bitte erschlag mich, so wie ich meinen freien Geist erschlagen haben müsste.
Wahre Liebe
Autor unbekannt
Dies ist mein Dogma! Keine Zahnbürste, kein Telefon, kein anderes Haushaltsgerät wird jemals Macht über mich ...
BING!
Entschuldigt mich, ich muss gehn, mein Mikrowellenpopcorn ist fertig.

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